Neues aus der Wissenschaft

Aus der Forschung in die Praxis

Die neuesten Ergebnisse und Beiträge zu den Themengebieten Kinderwunsch, Pränatale Medizin, Humangenetik, Endokrinologie und Osteologie für Fachleute und interessierte Laien lesen Sie regelmäßig hier:

News werden eingetragen

01.12.2024 | Beendigung einer Kinderwunsch-Behandlung

Die Entscheidung über den „richtigen“ Zeitpunkt, eine Kinderwunsch-Therapie zu beenden oder auch gar nicht erst zu beginnen, fällt allen Beteiligten – sowohl den Patientinnen/Paaren als auch den behandelnden ÄrztInnen – oft schwer. Natürlich beeinflussen individuell viele Faktoren, die über die alleinige Beurteilung der Behandlungschancen hinausgehen, eine solche Entscheidung.

Bezüglich des Vorgehens bei niedrigen Therapiechancen hat die Ethikkommission der amerikanischen Fachgesellschaft (ASRM) kürzlich eine Stellungnahme publiziert (Ethics Committee of the ASRM. Fertility treatment when the prognosis is very poor or futile: an Ethics Committee opinion. Fertil. Steril. 2024; Oct 18: Online ahead of print).
Die Diskussion bezieht sich dabei auf die „aussichtlose“ Therapie (= Chancen einer Lebendgeburt < 1%/Zyklus) und die Therapie mit „sehr schlechter Prognose“ (= Chancen einer Lebendgeburt 1 - < 5%/ Zyklus).

Die ASRM konstatiert für diese Situationen, dass die meisten Patientinnen erkennen, wenn eine weitere Behandlung nicht mehr zu einer erfolgreichen Schwangerschaft führt. Sie stellen ihre Bemühungen entweder ein oder suchen nach anderen Möglichkeiten, eine Elternschaft zu erreichen. Dem würde ich insofern zustimmen, dass dafür aber die meisten eine ärztliche Beratung und gemeinsame Abwägung benötigen, damit neben den vielen anderen Faktoren (Emotionen, ggf. finanzielle Ressourcen etc.) die individuelle Beurteilung der Chancen ihre Entscheidungsgrundlage komplettiert.

Die ASRM führt weiter aus, dass es einigen schwerfällt, das erhoffte Ziel aufzugeben und sie auf einer weiteren Behandlung beharren. Die Ethikkommission der ASRM empfiehlt Kinderwunschzentren daher die Entwicklung patientenorientierter Richtlinien zur evidenzbasierten Bewertung. In den meisten Fällen hält sie die Durchführung „aussichtsloser“ Therapien (< 1% Lebendgeburt/Zyklus) für ethisch nicht vertretbar. Lediglich bei erhofftem psychologischen Nutzen soll sie abgewogen werden.
Bei Behandlungen mit „sehr schlechter Prognose“ (1 - < 5% Lebendgeburt/Zyklus) sollen Risiken, Nutzen und Alternativen diskutiert werden.

Das Thema bleibt nicht einfach, aber die Patientinnen benötigen unsere realistische individuelle Beurteilung ihrer Chancen. Ob vor allem bei Geburtenraten < 1%/Zyklus – allein aus psychologischen Gründen – eine Therapie erfolgen soll (mit den – wenn auch nur geringen – Risiken etc.), muss man ärztlicherseits sicher sehr kritisch beurteilen.

Prof. Dr. med. Frank Nawroth